WSH Telex - Moral und Demokratie

Moral in der politischen Debatte? Warum zu viel Moral ein Problem für die Demokratie ist

Von Univ.-Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler

Es scheint ein neuer Trend zu sein. Seit einigen Jahren werden politische Forderungen nicht mehr (nur) politisch, sondern moralisch begründet. Vor allem die Debatte um den Klimaschutz bietet viele Beispiele dafür. Das gilt etwa für die immer wieder aufflammende Diskussion über SUVs. Mit moralisch unterfütterter Empörung werden die Fahrer solcher Autos kritisiert, besser: gegeißelt. Umgekehrt empören sich die kritisierten Autofahrer. Sie fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt - und moralisch genauso im Recht wie ihre Kritiker. Ähnlich verlaufen die Diskussionen über Kurzstreckenflüge oder den Konsum von Fleisch. Wer genau hinschaut, findet in immer mehr Debatten moralische Argumente, die den Sachargumenten entgegengestellt werden. Das ist ein Phänomen, das weltweit zu beobachten ist.

Moralisierung als Rückfall

Die moralische Einfärbung öffentlicher Diskussionen ist kein Fortschritt. Sie ist ein trauriger zivilisatorischer Rückschlag. In archaischen Gesellschaften, in frühen und vormodernen Staaten waren Recht, Moral und Sitte alles eins. Moralische Normen waren Recht und wurden vom Staat mit Macht durchgesetzt. Spätestens mit der Aufklärung begann die Unterscheidung von Recht und Moral. Der Staat sollte für das Recht zuständig sein. Moral und Sitte -das war dagegen die Domäne von Gesellschaft und Kirche. Ganz so eindeutig ist die Lage allerdings auch heute nicht. Bis heute gibt es staatliche Rechtsnormen, die stark moralisch geprägt sind - etwa die Menschenrechte oder das Tötungsverbot im Strafrecht.

Trotzdem ist die grundsätzliche Trennung von Staat und Moral in den modernen Gesellschaften ein großer Gewinn an Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger. Denn staatliches Recht will nur das äußere Verhalten beeinflussen. Die Gedanken und Gefühle sind weiterhin frei. Moral dagegen zielt auf die inneren Einstellungen und Gesinnungen. Sie will Gedanken und Gefühle in den Griff nehmen. Das ist - jedenfalls potentiell - totalitär. Vor diesem Hintergrund wird klar: Zu viel Moral in der Debatte und der Politik bedroht die Freiheit.

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